Die Permanenz der Schöpfung 1

Ähnlich den Sternbildern des Fotografen Thomas Ruff, die uns
die gigantischen Dimensionen des Alls im großen, vergleichs-
weise jedoch kleinen Format vor Augen führen, kennzeichnet
auch Herbert Egls Gemälde eine gewisse Maßlosigkeit. Sie
hängt damit zusammen, dass die ästhetischen Qualitäten des
ungegenständlichen Werks, die Konkretion von Farbe, Form
und Linie zwar einerseits thematisch ist, das Gemälde aber
andererseits nicht allein als autoreflexives, sich selbst definier-
endes Ganzes verstanden werden kann. Statt in diesem Sinne
ein Universum der Malerei in Szene zu setzen, spiegeln näm-
lich Egls Arbeiten andere Universen, Welten jenseits des
Bildes, aus deren Reflexion sich seine Kunst auch werkgene-
tisch herleitet. Denn schon während des Studiums in den mitt-
leren und späten siebziger Jahren interessierte er sich für
Pflanzenstudien, für Zellkerne und Amöben, die in gewandelter
Gestalt Eingang in seine Gemälde fanden. Ihnen folgten dann
makrokosmische Referenzen, die aber, ähnlich den biomorphen
Formen, jede direkte Abbildlichkeit vermeiden. Mag man in den
Gemälden der achtziger und gelegentlich auch der neunziger
Jahre immer wieder auf Strukturen treffen, die Assoziationen
an Einzeller, stellare Konstellationen oder schlichtweg Steine
(siehe die gleichbetitelten Bilder) hervorrufen, dann vermeidet
Egl doch jeden Illusionismus. Statt Natur nachzuahmen, sucht
er nach strukturellen Analogien, die Bildprozesse als Naturpro-
zesse verständlich machen. Ziel ist folglich weniger die Ähnlich-
keit im Detail, als die grundsätzliche Verwandtschaft, die das
bildnerische Schaffen an das permanente Entstehen von Leben
(und von Formen) in der Natur bindet. In dieser Weise bebildern
Egls Arbeiten nichts, vielmehr exemplifizieren sie in unserer
Welt – und unserem Leben – wirksame Kräfte, die sich im Schaf-
fen des Künstlers und im exemplarischen Raum des Bildes an-
schaulich nachvollziehen lassen. Hatte Wassily Kandinski in
diesem Sinne von einer Parallelität von „Werk- und Welt-Stiftung“
gesprochen, so begegnet uns in Herbert Egls Gemälden eine
ähnliche Ursprünglichkeit, handelt es sich doch in vielerlei Hin-
sicht um eine Malerei der ersten Schöpfungstage. Jenseits jeder
Verdichtung und Konzentration in feste Formen operierend, setzt
Egl auf die Produktivität von Bildprozessen, deren unausgesetzte
Vitalität alle seine Werke kennzeichnet. (…)

Ausgangspunkt für die „Verlaufsbilder“, zu denen etwa die Gemäl-
de „Ereignishorizont“ oder „Kontinente“ zählen, ist zumeist eine
schwarz grundierte Leinwand, die auf dem Atelierboden ausgebrei-
tet wird. An verschiedenen Stellen unterfüttert, bildet sie eine
Topographie von Höhungen und Vertiefungen, auf die, in einer
Art „Drippingverfahren“, Farbe – auch die „Nichtfarbe“ weiß –
geträufelt oder gegossen wird. Abhängig davon, wie stark nun die
Farbpigmente gebunden oder vielmehr wässrig „Im Fluss gehalten“
werden, verteilen sie sich in Rinnsalen über die Leinwand, verbin-
den sie sich mit dem noch frischen, nicht getrockneten Grund
oder bleiben sie schlichtweg als Sprenkel und Kleckse erhalten.
Ergebins ist jedenfalls eine anschaulich lebendige Bildfläche,
deren Dimensionen zuweilen durch ein feines Lineament vermes-
sen und durch Farbscheiben, die wie Detailaufnahmen einen Ein-
blick in den Mikrokosmos des Bildes ermöglichen, strukturiert
werden. Solche Eingriffe geben dem Gemälde eine sehr konkrete
Präsenz, würde der Betrachter ansonsten doch meinen, einen
fast kosmischen Blick auf die Erdoberfläche vor Augen zu haben.
Doch erschöpfen sich Egls Naturverweise nicht in der Mimikry an
Flussläufe oder ein pflanzenhaftes Aufblühen. Denn jenseits aller
formalen Ähnlichkeiten überlässt Egl das Bild(-objekt) selbst den
Naturprozessen, indem er die Chemie der Farben und die physika-
lischen Eigenschaften des Farbflusses auf der Bühne des Bildes
wirksam werden lässt. An die Stelle des künstlerischen Ausdrucks-
willens und seiner Subjektivismen – die Egl als Zeitgenosse der
„wilden“ Maler kennengelernt hatte – tritt damit eine Reflexion auf
objektivierbare Gesetzmäßigkeiten, die auch dem Künstler eine
neue Rolle zuweist. Zwar kontrolliert er über weite Strecken die von
ihm initiirrten Vorgänge, doch ist er nur bedingt deren Urheber. Ent-
sprechend definiert sich der Künstler daher als ein Experimentator,
der zwar die Versuchsbedingungen bestimmt, sich zugleich aber
von den erreichten Ergebnissen überraschen lässt. Vielleicht ist es
diese Verbindung von beinahe wissenschaftlicher Disziplin und
hoher Sensibilität gegenüber der Eigendynamik von Prozessen, die
Egls Interesse für die Botanik, die Biologie und die Astrophysik ge-
fördert hat, in jedem Fall bezieht sich der Künstler auch explizit auf
Themen und Arbeitsweisen von naturwissenschaftlich geschulten
Denkern, wobei insbesondere der Engländer Stephen W. Hawking
hervorzuheben ist. So bekennt Egl, dass ihm die Auseinander-
mit Hawking zu einem Bewusstsein der Parallelität physi-
kalisch-wissenschaftlicher und künstlerischer Erkenntnisprozesse
geführt hat. „…Nämlich, dass bei der Astrophysik bei Hawking mit
vielen Unbekannten im Zusammenhang ein Bild entwickelt wird,
das eine innere Logik beinhaltet. Und diese naturwissenschaftliche
Arbeitsweise ist eben auch direkt auf die Malerei übertragbar.“ 2

Gilt dies für die künstlerische Strategie, die im Ergebnis zu den
„Verlaufsbildern“ führt, so, grundsätzlich betrachtet, auch für (…)
die „Verschiebungsbilder“. Sie basieren auf relativ dichten Lagen
von auf die Leinwand aufgebrachten Acrylfarben, deren Struktur
und Erscheinungsweise allerdings in einem zweiten Arbeitsschritt
grundlegend verändert wird. Dies geschieht entweder mit Hilfe
einer Pappe, die vertikal von oben nach unten über die Bildfläche
gezogen wird oder durch einen Rakel, der die Farbe von der Lein-
wand kratzt. Dadurch verliert die Farbe die Präzision ihrer pasto-
sen Setzung, gewinnt aber gleichzeitig eine „Unschärfe“ und neue
„Beweglichkeit“, die durch zumeist horizontal geführte Striche, mit
deren Hilfe Egl anschließend die Fläche markiert, eher hervor-
gehoben als kompositionell diszipliniert wird. Entsprechend chan-
gieren die Verschiebungsbilder zwischen einem Verweis auf die
präexistente, zwar annullierte, aber doch noch zu erahnende Er-
scheinungsweise des „ursprünglichen“ Gemäldes, seinem jetzigen
Status Quo und einer möglichen späteren Verfestigung, zwischen
vorher und nachher, Erinnerung und Präsenz, Fläche und Tiefe
etc., eine Mehrdimensionalität, die jede Festlegung auf ein unhin-
terfragbares „So-und-nicht-anders“ des Bildes ausschließt. Dies
würde auch Egl bildnerischer Konzeption widersprechen, zielen
doch alle seine gestalterischen Maßnahmen letztlich darauf, die
Vorgänge im Bild lebendig zu halten. Deshalb sind wir Augen-
zeugen einer Welt im Werden, deren Energien nie in festen, linear
definierten Formen stillgelegt werden. Statt auf verbildlichte End-
gültigkeiten aus zu sein, zählt für Herbert Egl, wie bereits mehr-
fach betont, allein der Prozess, die Potentialität von Farbflüssen
und changierenden Farbverläufen. Sie halten die Werke lebendig
und veranschaulichen damit die ungebrochene Kraft der Schöp-
fung, die, bei Egl, zugleich die der Malerei und des Bildes ist.
Denn seine Gemälde bebildern weder mikro- noch makrokosmi-
sche Entstehungsprozesse von Leben, sie inszenieren sie viel-
mehr selbst. Auf diese Weise wird die Malerei zum Dokument der
Permanenz von Schöpfung und dies nicht als These, sondern als
anschaulicher Beleg.

Dr. Christoph Schreier
Kunstmuseum Bonn

1 Leicht gekürzter Text aus dem Ausstellungskatalog
Transformaties, Museum Het Valkhof, Nijmegen 2000

2 Vgl. Jörg-Heiko Bruns, Biographische Angaben, in: Herbert Egl,
Ausstellungskatalog der Städtischen Galerie Göppingen, des
Museums Commanderie van Sint-Jan Nimwegen, der Galerie am
Fischmarkt Erfurt 1994, S. 35.